Prosa von Angelica Löwe

aus:

Es ist nie zu spät

Lange Zeit lebte ich in der Gurke, in einem ausgehöhlten, glitschig-länglichen Etwas, das meine Großmutter als Leben für mich bereithielt – sie lebte selbst in der Gurke und ich mit ihr. Alles war hellgrün und weich an ihr und um uns herum, sanft und wie für immer gemacht, an ein Entrinnen war nicht zu denken. Ich räkelte mich in der Gurke, ich machte mich breit, immer breiter wurde ich, bald so breit wie meine Großmutter, sie fütterte mich mit ihren Gurkenessenzen, und sie schlugen wohl an. Ach, diese Zeiten des weichen Gemästetwerdens in meiner Gurkenwiege, meinem grünen Gurkenschiff, mit dem wir die Welt umsegelten, das Limonadenmeer durchkreuzten , dem Rauschen des Äthers lauschten, seine Klangwellen durchpflügten, bis die Sterne anhoben zu singen und wir in ihren Gesang einstimmten, um schließlich im halbmondförmigen Heimathafen einzulaufen, unserer Kipferlzuflucht, unserer Burenwurstzuflucht, diese Zeiten waren schön, aber diese Zeiten sind vorbei.

„Was willst du essen“ , fragte mich die Großmutter, immer fragte sie das, mehrmals am Tag. Ich und Pius, der Kanari und Mia, die Katze, wir waren ihre Stopftierchen.

Pius trillerte und sang, er sperrte sein Schnäbelchen auf, und es wurde gestopft, und Mia war faul und gähnte, auch ihr gähnendes Mäulchen wurde gestopft, und ich sang und trillerte viel, wie Pius, ich gähnte viel, wie Mia, und auch ich wurde gestopft.

Wir Gurkeninsassen hatten ein herrliches Leben, an den Gestaden der Tage, der Monate, der Jahre schipperten wir gemächlich vorbei, wir winkten fröhlich, das Ufer war ja weit entfernt, nirgends wollten wir anlegen.

Mein Körper hatte sich in ein stabiles, gut aufgeblasenes Schlauchboot verwandelt, ich saß sicher in ihm, jede Seenot, jeden Sturm würde ich damit überstehen. Unser Leben war ein sicheres Leben – essend, singend und betend trieben wir dahin, wir vier, und mit Teresa waren wir zu fünft. Teresa war meine Puppe. Ich besaß sie schon lange, ich glaube sogar, dass sie ein Geschenk meiner Eltern war. Ihr Augenaufschlag rührte mich, allzu oft konnte ich ihn nicht anschauen.

Teresa hatte es schwer mit mir. Mit ihr spielte ich Kindverlassen. Ich setzte Teresa auf mein Bett und sagte: „Mein liebes Kind, ich gehe jetzt. Ich weiß nicht, ob ich wiederkomme. Wenn ich nicht wiederkomme, dann halte dich an die Großmutter. Also sei schön brav und heul nicht, weil so schlimm ist es nicht.“ Ich ging.

 

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